Manchmal sieht und hört man sie in der Fußgängerzone Rúa Santa Catarina oder auf einem der größeren Plätze in der Altstadt: zehn, 15 junge Männer in weiten schwarzen Umhängen, die auf Gitarren, einem Kontrabass und anderen Instrumenten herzzerreißende Lieder spielen und dazu schmachtend von der Liebe und anderem Herzensleid singen.
Obwohl ich nur einzelne Wörter verstehe, kriecht mir bei manchen Stücken eine Gänsehaut den Rücken hinauf. „Ursprünglich wollten die Studenten mit ihrer Musik vor allem die Mädchen bezirzen“, erzählt einer der jungen Männer grinsend und ergänzt auf meine Nachfrage: „Manchmal klappt es.“
Entstanden sind die singenden Studentenverbindungen an der Universität in Coimbra. Von dort kamen sie Mitte des 20. Jahrhunderts nach Porto. Ähnlich wie die Praxe (sprich Prasch) – die bizarr anmutenden Aufnahmerituale für Erstsemester. Die müssen vor den Älteren auf dem Boden kriechen oder Mutproben bestehen. Manche werden auch zur „Taufe“ in einen Brunnen geworfen.
Musizierende Studenten
Wie diese umstrittenen Rituale, bei denen immer wieder junge Leute verunglücken, dienen die Tuna genannten Musikgruppen der Gemeinschaft. Neudeutsch würde es „Teambuilding“ heißen. „Viele Studienanfänger fühlen sich an der Uni verloren“, erzählt ein älterer Tuna-Sänger. „Die Gruppen bieten Anschluss, Orientierung und eine neue Heimat.“ Wie zahlreiche andere ist er nach dem Studium dabei geblieben. Gemeinsam gehen die Musiker auf Tourneen, machen Ausflüge oder verreisen. Mit der Straßenmusik finanzieren sie ihre Instrumente und Reisen.
Die Geschichte der schwarzen Umhänge liegt im Dunkeln. Manche sagen, man sei damit während der Diktatur weniger aufgefallen. Straßenmusik war damals verboten. Andere verweisen auf die Gleichheit, die die Studenten damit zeigen wollen. Niemand solle sich mit teuren Klamotten herausstellen. Gitarrist Pedro trägt sein Gewand als Ausdruck der Verbundenheit mit seiner Fakultät. „Tuna Academica Faculdade de Economia do Porto“, akademische Tuna des Fachbereichs für Wirtschaft an der Universität Porto, steht in goldener Schrift auf seinem schwarzen Umhang.
Jede Fakultät hat eine eigene Tuna-Musikgruppe
Fast jede Fakultät hat ihre eigenen Tunas. Pedro hilft die Gemeinschaft, Persönlichkeit zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. „Wir gewinnen Selbstvertrauen, Verlässlichkeit und lernen, offener miteinander umzugehen“, erklärt der 20-Jährige. Mögliche Arbeitgeber „schätzen es, wenn ein Bewerber die Tuna im Lebenslauf stehen hat.“
Inzwischen haben sich auch Studentinnen eigene Tunas gegründet. Gemischte Bands sind selten. „Wir haben es mal mit Mädchen versucht, uns dann aber in aller Freundschaft wieder getrennt, erzählt Pedro. „Die Frauen wollten zu viel bestimmen. Unter uns Jungs gibt es weniger Streit“, ergänzt er lachend.
Drei bis fünf Stunden proben die Musiker jede Woche. Singen oder ein Instrument spielen konnte Pedro wie die meisten anfangs nicht. „Das lernst Du hier“, erklärt der junge Mann und greift zur Gitarre. Zum Schluss lädt er mich zur CD-Release Party auf den Platz am Clerigos-Turm in der Innenstadt ein.
Auf einer Bühne präsentierte eine Tuna ihre Lieder. Zwei, drei von ihnen tanzen dazu. Auf den Stühlen trotzen vor allem Mädchen der Kälte. Auch sie tragen die schwarzen Umhänge, johlen und jubeln zu jeder Ansage, springen nach jedem Stück aus ihren Stühlen und feuern die Jungs mit Schlachtrufen an, die wie Fangesänge im Fußballstadion klingen.
Die Gewänder der Studenten, die nach anderer Lesart für Volk, König und Kirche stehen, lieferten vermutlich J.K. Rowling die Inspiration zu den Uniformen der Zauberschule Hogwarts. Die Autorin der Harry Potter Romane, die zwei Jahre in Porto gelebt hat, hat dies nie bestätigt.