Vor langer, langer, Zeit galt der Felsenkoloss in Sagres an der Algarve mit dem mystisch klingenden Namen Cabo de São Vicente als das Ende der Welt. Wer an der Spitze der sich wie ein Finger aus dem Meer emporhebenden Klippe vorbeisegelte, wusste vor tausend Jahren noch nicht, wohin der Weg gen Westen führte. Dort, wo allabendlich die Sonne ins Meer stürzte und der Himmel leuchtendorange brannte, lag vielleicht das Tor zum Purgatorium, dachte man.
Jedoch nur so lange, bis ein portugiesischer Prinz den Seeweg nach Indien finden wollte und das Kap am Heiligen Vorgebirge zum Forschungszentrum für seine Vision erkor. Der Prinz nannte das Fischerdorf Vila do Infante und ließ eine Festung bauen. Er war der Großmeister des portugiesischen Christus-Ritterordens, Burgherr von Silves, und erster Gouverneur des Königreiches der Algarven. Sein Name lautete Infante D. Henrique, Prinz Heinrich der Seefahrer.
Heinrich der Seefahrer in Sagres
Prinz Heinrich setzte mit seiner Mission, den Seeweg nach Indien zu suchen, völlig neue Maßstäbe in der damals noch herrschenden Weltenordnung. Er verhalf dem Königreich Portugal zu Ruhm und Ansehen und zu einem gewaltigen Vorsprung und Blickwinkel auf andere Länder und deren Kultur. In Sagres fand sein Gelehrtenstab in der Seefahrerfestung Fortaleza de Sagres einen bestens geeigneten Ort für die nötige Feldforschung, und ein Refugium für absolute Geheimhaltung. Hinter dicken Mauern werteten Himmelsforscher und Kartographen die von den unter Portugals Flagge segelnden Entdecker-Kapitänen heimlich geführten Logbücher Roteiros aus, und trugen die Beobachtungen penibel in Seekarten ein. Den Gelehrten dienten der Polarstern, die Sonne und ein großer, in den Boden eingelasser Kreis zur Orientierung, der mit seinen unregelmäßigen Feldern bis heute den Innenhof der Festung dominiert, und Forschern noch nicht in Gänze gelungen ist, zu dechiffrieren.
Die Fortaleza-Festung von Sagres
Die wie ein U gebaute Fortaleza-Festung trennt das Promontório Sacrum vom Festland und dem Meer, und lädt ein zu einem Erkundungsspaziergang vorbei an der Heiligen António Kapelle an der Klippenkante entlang zu den Furna, die sich durch den Felsen wie Trichter bis in Unterwasserhöhlen bohren und das Echo der Brandung hinauftragen. In Sagres weht der Wind immer steif, die Wogen schäumen an den Klippen empor. Besser schmeckt Freiheit kaum irgendwo. Wagemutige Fischer stehen einen Schritt entfernt von der Ewigkeit und warten auf den besten Biss.
Oben auf der Bastion erhascht man den besten Ausblick gen Osten zum Hotel Pousada Sagres, das 500 Jahre nach Prinz Heinrichs Tod 1960 eingeweiht wurde.
Gen Westen blickt man auf den legendären Leuchtturm am Südwest-Ende von Europa. Der ominöse Erdkreis im Hof erinnert daran, dass die Portugiesen einst das Unmögliche möglich gemacht und mit ihren Entdeckungen das Weltenbild mit reformiert haben. Sagres war von da an nicht länger das Ende, sondern der Anfang und das Tor zur Neuen Welt.
Ausflug zum Leuchtturm von Sagres
Vom Kreisverkehr vor der Fortaleza-Festung führt eine sieben Kilometer lange Landstraße bis zum Ende von Europa. Wer nicht selbst fahren mag, unternimmt einen Ausflug mit dem Dreiradgefährt E-TukTuk von Sagres aus und erfährt vom Fahrer unterwegs eine Menge über den Ort und seine Menschen, das in keinem Reiseführer steht. Die Straße führt an der leerstehenden Festung Espiche vorbei und endet nach einer langen Linkskurve über das immer enger zusammenrückende Küstenplateau am Parkplatz vor der Leuchtturmanlage.
Leuchtend weiß gestrichen thront die Ikone der Algarve, der Leuchtturm Farol de São Vicente, auf der Kap-Spitze von Sagres und feuert sein Leuchtsignal 46 Meilen weit hinaus auf See. Vier Meter Durchmesser misst das größte Leuchtprisma von Europa und rotiert in der roten Laterne bereits seit über 100 Jahren in dem 1846 errichteten Turm. Eingebettet in eine ehemalige Festungsanlage mit Kloster zählt die Leuchtturmanlage zu den meist besuchten Sehenswürdigkeiten an der Algarve.
Am Turm prangt ein Kreuz mit römischer Ziffer I. Hier am Kap, an der einstigen Pilgerkapelle des Heiligen Vinzenz, beginnt die Pilgerroute nach Rom; nach Santiago de Compostela; sowie die Fernwanderstrecke Via Algarviana GR 13 durch das Hinterland der Algarve bis nach Alcoutim im Osten; und die Grande Route GR 11/E9 Rota Vicentina bis nach Santiago de Cacém bei Sines gen Norden an der Küste entlang. Wer dieser Route folgt, könnte von Sines aus weiter bis Sankt Petersburg wandern. Oder man fährt mit dem Fahrrad auf der ECOVIA am Leuchtturm los und folgt der Strecke entlang der Algarve-Küste bis nach Vila Real de Santo António. Verliebte bleiben und wandeln im Sonnenuntergang Hand in Hand an der Steilküste entlang, bis Himmel und Meer in „Flammen“ stehen.
Frühmorgens begegnet man am Kap einer ganz anderen Spezi: im Sucher ihrer Kameras gefiederte Freunde. Neben Ornithologen zieht es auch Botanik-Freunde bis an das Ende von Europa, wachsen hier in ursprünglicher Macchie-Umgebung im Naturpark Costa Vicentina/Süd-West-Alentejo eine Menge endemische Pflanzen, Wildkräuter und Blumen, die anderswo längst ausgestorben sind. Erkundungswütige Spurenleser der Vergangenheit stoßen rund um Sagres auf archäologische Zeugen aus der Steinzeit und Römerzeit. Mehr über Botanik, Archäologie und Vogelkunde, erfährt man in dem Faltplan „Zentrum der Entdeckungen“ Vila Do Bispo, erhältlich im Tourismusbüro, und findet seinen Erlebniswunschort auf Anhieb anhand der vielfarbig markierten Punkte auf dem Plan
Zwischen den Klippen rund um das Kap São Vicente liegen paradiesische Strandbuchten versteckt, die man größtenteils bequem mit dem Auto erreichen kann. Im Winter locken sie zu einsamen Spaziergängen barfuß im Sand vor tosender Wellenkulisse, im Sommer zum Baden, und den Rest des Jahres zum Wellenreiten.
Sagres – das Surf El-Dorado
Schon lange ist die Costa Vicentina kein Geheimtipp mehr für diejenigen, die auf die beste Welle warten. Sagres hat sich zu einem weltweit beliebten Surf El-Dorado an der Algarve gemausert. Vom Profi bis zum Anfänger findet in und um Sagres jeder Wellenreiter seinen Lieblingsstrand, samt Surf-Schule, Surf-Camp, und Surf-Boutique.
Vorbei an der Statue von Heinrich dem Seefahrer führt die Hauptstraße durch den Ort und endet in der Bucht am Hafen Baleeira. Hier unternehmen diverse Anbieter Bootstouren. Segeln, tauchen, paddeln, Delphin-Watching, Hochseeangeln und mehr. Für die einen Vergnügen, für die anderen der Arbeitsplatz. Das Meer.
Fangfrischer Fisch in Sagres
Die Fischer von Sagres sind legendär, finden sie ihren Weg blind vorbei an den Riffzähnen rund um Sagres und folgen dem Licht ihres Leuchtturms. Voll beladen kehren die Fischer mit ihrem Kutter gegen Mittag zurück, ihr Fang wird gelöscht und werktags am Nachmittag in der Fischversteigerungshalle Lota in Sagres meistbietend verkauft.
Mitbieten kann man zwar nicht, aber zugucken. Durch das Panoramafenster im Fischerlokal Sereia in der Auktionshalle im ersten Stock, am besten beim Tagesgericht vom Fischer-Tagesfang und köstlichen Meeresfrüchten als Petisco-Vorspeise. Vom hinteren Balkon aus hat man übrigens die allerbeste Aussicht auf den Fischerhafen, auf den Wellenbrecher, der die Hafeneinfahrt schützt, die drei Mareta-Felsen in der Bucht, und auf die Südküste der Algarve und ihre im nachmittäglichen Sonnendunst pastellfarbene Klippenlandschaft bis zum nächsten Leuchtturm auf der Ponta da Piedade in Lagos.