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Portugiesische Teppichkunst im Alentejo – Arte da casa in Arraiolos

Detail des Kreuzstiches Arraiolos

Die Teppiche aus der einstigen Grafschaft Arraiolos in Portugals Region Alentejo sind berühmt für ihre Farbenvielfalt, ihre Akkuratesse, und für ihre Langlebigkeit. Die kostbare Handarbeit ist eine einzigartige Heimkunst und seit über 500 Jahren ausschließlich von Frauen beherrscht.

Kräftiges Indigoblau, sattes Safrangelb, verwaschenes Lila, üppiges Efeugrün, sanftes Cremeweiß, schmücken Portugals Handwerkskunst. Farben aus Mutter Erde, gewonnen aus Pflanzen-Pigmenten, wie zum Beispiel aus der Indigopflanze das charakteristische Blau, Lila aus Malve, sowie Gelb aus Safranblumen. Alles Pflanzen, die je nach Region üppig wild im Landesinneren Portugals gedeihen und den Kunsthandwerkern ihren Farbstoff liefern. Das Extrahieren der Farbstoffe aus Pflanzen und Wurzeln zählte viele Jahrhunderte lang zum Geheimwissen der Färberzunft, wurde mündlich überliefert, und die exakte Mischung von pflanzlichen Pigmenten und Mineralspuren hüteten diese wie einen kostbaren Edelstein.

Gefärbte Schurwolle

Der Wunsch nach Ästhetik und Schönheit im eigenen Lebensraum erwachte auf der Iberischen Halbinsel bereits während der Maurenherrschaft im 10./11. Jahrhundert und expandierte besonders in Portugal zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert, als Kunsthandwerker vom königlichen Hof, vom Klerus, von der Aristokratie und vom Großbürgertum mit Aufträgen für die Verschönerung ihres Eigentums beauftragt wurden. Kaufleute, Latifundium Besitzer, Grafen, Barone, Bischöfe, Kardinäle, Könige. Alle wollten sie ihr Heim aufhübschen. Von der Bodenfliese über die Wandfliese, zur Deckenmalerei bis hin zu kuscheligen, dem Status Quo angemessenen Teppichen. Gediegen nobel bezahlte Gemütlichkeit galt in der damaligen Bohème Portugals als Muss zum Ausdruck für Wohlstand und Prestige. Die von Hand gefertigten Teppich-Unikate aus Schurwolle aus Arraiolos waren seinerzeit das absolute I-Tüpfelchen dieses Status Quo.

Schurwolle wurde in Arraiolos besser bezahlt als an anderen Orten, denn in Arraiolos gab es eine große Wollfärbezunft und erfahrene Wollspinnerinnen, die aus dem frisch geschorenen zotteligen Schafspelz kuschelige Wolle machten.

Auf dem heutigen Dorfplatz Praça de Municipio vor dem Rathaus unterhielten die Wollfärber ihre Färbebecken, die gegenwärtig leider unter Kopfsteinpflaster zugeschüttet verborgen liegen.
In diesen Becken, den Färbebecken für Leder im Gerberviertel in der Medina von Fés in Marokko nachempfunden, transformierten die Färber die von den Spinnerinnen zuerst gewaschene, anschließend gekochte, dann gekämmt, zu Fäden zusammengezwirbelte und abschließend auf Winden aufgedreht gesponnene Schurwolle, die eben noch dreckig weiße und dunkelbraune Naturwolle in bunte Kuschelwolle. Weberinnen stellten damit Schalüberwürfe, Westen, Jacken, Pullover, und Bodenläufer her – und – Teppiche, einfach gewebte, später hochwertig gestickte.

Bilder der Spinnerinnen Arraiolos

Der Kreuzstich von Arraiolos – Beginn der portugiesischen Teppichkunst

Die Idee für gestickte Schurwollteppiche entwickelte sich aufgrund der Überlegung, die bis dato verwendeten Wollwebeteppiche strapazierfähiger und wertvoller zu gestalten. Einige Weberinnen experimentierten mit anderen Handarbeitsmethoden herum und erfanden gemeinsam den Kreuzstich von Arraiolos. Dieser Kreuzstich beschert dem Arraiolos-Teppich seine Langlebigkeit. Zunächst wird ein Netz aus grobmaschigem Leinenflachs geknüpft. Als nächstes zeichnet man das gewünschte Muster oder Bild auf Papier vor und kennzeichnet Muster, Linien, Füllflächen, mit Symbolen, und anschließend die zu verwendenden Farben mit Kennzahlen. Jeder Stich ist ein Kreuz und das Papier mit Kreuzzeichen übersäht, ist vom ersten bis zum letzten X abgezählt. Die hohe Kunst besteht in dem Wissen, die gewünschte, zum Beispiel symmetrische Mustervielfalt eines Familienwappens, maßstabgerecht komprimiert exakt auf die Teppichfläche zu übertragen. Dazu muss man gut zählen können, ein aufmerksames Auge haben, und Geduld aufbringen.

Replika in Arraiolos

Los geht es in der unteren Mitte. Ein X macht den Anfang. Von hier wird gezählt. Jeder Stich zu weit nach links, zu weit nach oben oder nach rechts gesetzt, und die Teppichstickerin muss ihre gesamte Arbeit wieder auftrennen und neu anfangen. Nach dem Abzählen wird das Muster aufgestickt. Linien, Übergänge, Formenstücke. Nach und nach bekommt der künftige Teppich sein Gesicht. Als Nächstes füllt die Teppichstickerin Stich für Stich die kleinen Formen aus, danach die großen, erst zuletzt wird die noch leere Fläche komplett mit fest gesponnenem Schurwollfaden gefüllt. Vom ersten bis zum letzten Stich.

Detail Kreuzstich Teppich Arraiolos

Eine wahre Sysiphos-Arbeit. Erfahrene Stickerinnen schaffen hauptberuflich bis vier Quadratmeter pro Monat, nebenberuflich arbeitende, gerade einmal die Hälfte. Ein Quadratmeter Wunsch-Teppich-Unikat aus reiner Schurwolle kostet derzeit zwischen 300 und 350 Euro, je nach Farbenvielfalt. Ein Salonteppich mit zwölf Quadratmeter Größe würde demnach etwa vier Monate Herstellung benötigen und etwa 4000 Euro kosten. Ein Trinkgeld für einen Teppich, der Jahrhunderte überlebt.

Arte da Casa – Heimkunst

Als die Teppichkunst in Portugal durch Teppichimporte aus Persien, Byzanz und Indien für eine regelrechte Nachfrageexplosion sorgte, waren die Teppiche aus Arraiolos besonders stark gefragt. Hunderte Frauen in Arraiolos und Umgebung, in Évora, in Montemor-Novo, in Estremoz und in Evoramonte, waren mit Teppichsticken beschäftigt. Damit diese Handwerkerinnen gleichzeitig Haus, Hof und Kinder betreuen konnten, arbeiteten die Frauen zu Hause, was eben dieser Kunst den Beinamen Arte da Casa – Heimkunst – eingebracht hat.

Den Kampf gegen industriell gefertigte Teppiche hat die Teppichstickkunst von Arraiolos in den 80er Jahren verloren, und die meisten Teppichstickerinnen betreiben ihr Kunsthandwerk heute nur noch als als Hobby, um sich ein wenig Handgeld dazuzuverdienen, wenngleich Liebhaber-Kunden mithelfen, diese alte Handwerkskultur aufrecht zu erhalten.
Eine Sammlung antiker Arraiolos-Teppiche ist im Nationalmuseum für antike Kunst in Lissabon ausgestellt, und einige Originale nebst einer Anzahl Repliken in Arraiolos im Museumshaus Centro Interpretativo do Tapete de Arraiolos.

Museumshaus Arraiolos
Werkstatt Museum Arraiolos

Das Museumshaus beherbergt neben einer stattlichen Anzahl Teppiche aus Arraiolos und anderen Teppichmanufakturen weltweit, ein Atelier, das den Arbeitsweg von der Schur am Schaf, der Farbgewinnung aus Pflanzen, bis zum Kreuzstich von Arraiolos dokumentiert. Besonders spannend ist es, Dona Deolinda bei der Arbeit zuzuschauen, die neben ihrem eigentlichen Beruf als Raumpflegerin im Museum, Repliken bekannter Teppiche aus Arraiolos stickt. Der Besucher ist eingeladen, mitzumachen, und lernt dabei, wie das mit dem Zählen und Sticken funktioniert.

Besuch im Ort Arraiolos im Alentejo

Die Gemeinde Arraiolos im Landkreis Évora hat dem Reisenden aber noch eine Menge mehr zu bieten. Zahlreiche Teppichboutiquen bieten Tischläufer, Bettvorleger, oder kleine Wandteppiche mit klassischen und modernen Motiven an. In der Igreja Misericórdia Kirche neben dem Hauptplatz verbirgt sich ein fantastischer Fliesenschatz mit religiösen Bildern. Den Schlüssel für die Kirche bewahren das Museum und das Rathaus auf. Auf Nachfrage schließt jemand die Kirche auf. Die lokale Gastronomie lockt mit süß und salzig gefüllten Pasteten, “Empadas de Arraiolos” als Spezialität der Region sowie mit deftig leckeren Tagesgerichten zur Einkehr. So gestärkt, erklimmt man durch die mittelalterlich-engen Gassen den Weg zur ehemaligen Ritterburg mit der San Salvador Kirche auf der Kuppe, und genießt von den Zinnen einen Panorama-Ausblick über den Alentejo in alle vier Himmelsrichtungen nach Spanien, nach Évora und Richtung Lissabon.

Ausblick auf Arraiolos
Ausblick Alentejo Hochebene

Hoteltipps für Arraiolos im Alentejo

Das private Gästehaus Casa do Plátano erwartet Sie unmittelbar im historisch reizvollen Ort Arraiolos. Umfassend inspiriert vom Geist der fernöstlichen Philosophie, steht hier nicht zuletzt die meditative Entspannung im Vordergrund. Dementsprechend sind die gleichermaßen modern wie stilvoll ausgestatteten Zimmer in individuellen Farbtönen eingerichtet. Besinnliche Ruhe finden Sie im Garten oder auf der Sonnenterrasse – und die kulturellen Sehenswürdigkeiten wie die nur rund 500 Meter entfernte Burg von Arraiolos oder die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Évora (ca. 20 km) sind von hier aus leicht zu erreichen.

In einem Tal nahe Arraiolos führte die Restaurierung eines Klosters aus dem 16. Jh. zur Gründung der schönen Pousada Convento Arraiolos, die als Musterbeispiel für die vollendete Harmonie zwischen der modernen und der traditionellen Architektur Portugals gelten kann. Eingerahmt von weitläufigen Gartenanlagen, durch die sich plätschernde Rinnsale und steinerne Fußwege ziehen, wird die Ruhe des Ortes nur durch die typischen Geräusche der Viehherden unterbrochen.

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Die Schriftstellerin Catrin Ponciano lebt in Portugal und arbeitet hauptberuflich als Journalistin, Essayistin und Autorin. Die ehemalige Küchenchefin wagte 2006 einen Neuanfang, legte das Messer aus der Hand und nennt seither einen Stift ihr Werkzeug. Ihre Themen umspannen Portugals Kultur und Lebensart. Poncianos Kriminalromandebüt „Leiser Tod in Lissabon“ wurde 2021 mit dem Debütpreis der Stuttgarter Kriminächte ausgezeichnet. Die Reiselektüre „111 Orte in Porto die man gesehen haben muss“ ist ihr dritter 111-Orte-Band – nach „111 Algarve“ und „111 Alentejo“. Die Autorin ist Mitglied im Syndikat für deutschsprachige Kriminalliteratur, im PEN-Berlin, sowie bei der 42er-Autoren. Hier geht's zu ihrer Autoren-Webseite.

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