Kleines Land, große Traditionen. Wer Portugal in den Wochen vor Weihnachten besucht, trifft auf fröhliche Festtagsvorfreude ebenso wie auf Besinnlichkeit und Brauchtum.
Weihnachtszeit in Óbidos
In der mittelalterlichen Kleinstadt Óbidos pulsiert vorweihnachtlich-buntes Leben in Europas einzigem, ganz dem Weihnachtsfest gewidmeten Themen- und Ereignispark ‘Óbidos – Vila Natal’. Am Fuß der Burg scheint E.T.A. Hoffmanns Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ zum Leben zu erwachen. Wichtel, Elfen und Weihnachtsboten wuseln durch die Gassen, es gibt Buden mit Süßigkeiten, Punsch und Kakao. Krippen, geschmückte Tannenbäume, dazwischen kleine Werkstätten, Dekoration und Spielwaren vermitteln den Eindruck, der Weihnachtsmann habe sein Domizil in Lappland aufgegeben und sei nach Portugal gezogen. Eine Skipiste und eine Eislaufbahn begeistern sportlich Aktive. Konzerte internationaler Chöre und Orchester sowie Kunstausstellungen wenden sich an Besucher, die dem Trubel entsagen.
Aufgrund der Beschränkungen im Corona-Jahr ist all dies auf Spielerisches und Filmisches im Internet begrenzt, während sich Óbidos schon auf 2021 vorbereitet.
Óbidos (‘Óbidos – Vila Natal’): Óbidos, Distrikt Leiria; 39° 21′ 37.98″ N, -9° 09′ 24.12″ W; www.obidosvilanatal.pt
Weihnachten in Cabeça
Ganz anders, nämlich sehr beschaulich und naturbelassen geht es in Cabeça in der Gebirgsregion Serra da Estrela zu. Das 200 Einwohner zählende Dorf ist im ganzen Land als ‘Aldeia do Natal’ (‘Weihnachtsdorf’) bekannt. Auf dem zentralen Platz steht eine gigantische Tanne, der gesamte Ort ist reich geschmückt, doch das weihnachtliche Licht schimmert hier sehr viel milder als in Óbidos. Nachhaltigkeit ist in Cabeça ebenso bestimmend wie Tradition. Sämtliche Materialien und Ingredienzien, die für Dekoration, Souvenirs, Kunsthandwerk und Kulinarik verwendet werden, kommen aus der Natur der Gegend, die von einem ausgedehnten Pinienwald und Korkeichen geprägt ist. Die Bewohner von Cabeça arbeiten gemeinsam daran, vorweihnachtliche Atmosphäre in jede Straße, in und an jedes Haus zu bringen. Weidengeflecht und Zweige immergrüner Sträucher, umrahmt von Weinlaub, Kork und Kieferzweigen, säumen die Wege und zeigen, dass sich in Portugal die Vorweihnachtszeit deutlich vom saisonalen Geschehen anderer Länder unterscheidet: Wo die Tradition weiterlebt, gehört die Figur des Weihnachtsmannes nicht dazu.
Cabeça – Aldeia de Natal: Cabeça / Serra da Estrela, Distrikt Guarda; 40° 19′ 09″ N, 7° 44′ 07″ O; https://cabecaaldeianatal.pt
Tradition der Weihnachtskrippen
Alte Bräuche sind Familiensache. Die Vorbereitungen beginnen traditionell am 8. Dezember. Auf dem Kalender steht Mariä Empfängnis, ein Feiertag in Portugal, der noch vor einem guten halben Jahrhundert als Muttertag galt. An diesem Tag versammelt man sich, um gemeinsam die Weihnachtskrippe zu bauen. Dazu werden natürliche Werkstoffe wie Holz, Ton, Kork, Moos, Eicheln, Saatgut, Nüsse und Trockenfrüchte oder duftende Kräuter aus Wald und Feld verwendet. Solche Krippen zeichnen sich durch Schlichtheit aus und berücksichtigen alle Bereiche des Lebens: Da sind der Müller in der Mühle, Schäfer und ihre Herden, Hunde, Wildschweine, Federvieh und Fische, Wäscherinnen, Weinbauern, Musiker, Landarbeiter, Tunnel und Wasserfälle. Die Figuren sollen auf Moos gesetzt werden, was heute nur noch selten geschieht, denn die Pflanze ist in einigen Gegenden bedroht, nachdem Waldbrände und Trockenheit ihre Entwicklung beeinträchtigt haben.
Ein besonderes Kleinod kommt aus Estremoz im Alentejo: Tonfiguren. 2017 hat die UNESCO die ‘Bonecos de Estremoz’ als immaterielles Kulturerbe anerkannt, wodurch der traditionelle Krippenbau aus Lehm neuen Auftrieb erhielt. Die Figürchen sind bei Sammlern sehr gefragt. Einige Kunsthandwerker fertigen Unikate auf Bestellung an, dabei wünschen sich die Kunden auch schon einmal personalisierte Darstellungen, sodass Figuren durchaus bis zu 300 Euro kosten können.
Estremoz / Tonfiguren ‘Bonecos de Estremoz’: Estremoz, Distrikt Évora; 38°50’39.55″ N -7°35’9.06″ W
Es gibt in Estremoz einige Künstlerateliers, die diese Tonfiguren fertigen. Das bekannteste, das auch besucht werden kann, ist ein Familienbetrieb: Irmãs Flores, Largo da República n.º 31/32, 7100-505 Estremoz, Tel.: 268 324 239; E-Mail: maria.inacia.flores@gmail.com
Erstmals sind Krippen in Portugal im 16. Jahrhundert in Kirchen und Klöstern dokumentiert. Sie gewinnen im Barock deutlich an Popularität, als Künstler ausgesprochen üppige Exemplare schufen, die zum Teil bis heute erhalten sind. 1766 nahm der Bildhauer Joaquim Machado de Castro als erster die Heiligen Drei Könige in ein Krippen-Ensemble auf, das er aus über 400 Tonfiguren gestaltete. Seine berühmtesten Werke sind in der Basílica da Estrela in Lissabon und in der Kathedrale der Hauptstadt zu sehen.
Historische Krippen von Joaquim Machado de Castro:
- Basílica da Estrela, Praça da Estrela, Lissabon, 38º42’48.75 N, 9º09’38.21 W tägl. 9 Uhr – 20 Uhr
- Kathedrale Sé de Lisboa, Largo da Sé (Alfama); 38° 42′ 35.48” N , 9° 7′ 57.35” W. tägl. 9 Uhr – 19 Uhr
Die Bedeutung von Krippen
Im 19. Jahrhundert nahm sich das traditionelle Handwerk der Krippe an und so zog sie auch in die Wohnungen der Menschen ein. Die Krippe ist häufig stufenförmig angelegt, mit einer erhöhten kleinen Plattform, dem ‘altarinho’, dem Hochaltar der Kirche nachempfunden. Dazu gehört eine weitere jahreszeitliche Symbolik; die ‘searinhas’. Das sind kleine Töpfchen oder Teller, die Anfang Dezember mit Weizensamen (auch Mais, Gerste oder Hafer) bestückt und gegossen werden. In den folgenden Wochen keimt das Korn und liefert pünktlich zum Weihnachtsfest einen kleinen grünen Teppich, der dann in die Krippe integriert wird und außerdem auf den Weihnachtstisch gehört, auf dass es im Hause niemals an Brot mangele. In der Algarve dürfen Orangen nicht fehlen. Alle Gaben der Natur sollen eine reiche Ernte übers Jahr hinweg sicherstellen.
Verschiedene Arten von Krippen
Die Krippen-Kultur treibt in Portugal reizvolle Blüten und manche Gemeinden treten in einen regelrechten Wettbewerb um den imposantesten Aufbau. Rekordverdächtig sind die 220 m2 große Krippe in der Algarvestadt Vila Real de Santo António aus Tonnen von Sand, Steinstaub und Kork mit fünftausend Figürchen sowie eine biblische Landschaft aus Salz im Nachbarort Castro Marim. Beide sind über die Landesgrenzen hinaus bekannt, Brauchtum aus ländlichen Gegenden hingegen nicht: Da gibt es das Korkteilen unter benachbarten Familien als Sinnbild für Wohlstand im bevorstehenden Jahr. Einige Orte, wie Cortelha nahe Loulé, stellen große Korkfiguren in die Krippe, rau und klobig aus dem Material zusammengefügt, das die Grundlage des wirtschaftlichen Lebens im Hinterland ist.
Krippe in der Algarvestadt Vila Real de Santo António: Centro Cultural António Aleixo, Rua Almirante Cândido dos Reis 9; bis 6.1.2021 tägl. 10 Uhr – 13 Uhr uns 14.30 Uhr – 19 Uhr; 37º 11′ 40″ N, 07º 25′ 01″ W
Krippe aus Salz in Castro Marim: Casa do Sal, Rua São Gonçalo de Lagos, 8950-141 Castro Marim; GPS: 37.217897, -7.445059; tägl. 10 Uhr – 13 Uhr u. 14 Uhr – 18Uhr.
Cortelha nahe Loulé, Krippe mit Korkfiguren GPS: 37.257434, -7.956063
Die Krippe von Monsaraz
Die vielleicht beeindruckendste Darstellung ist im Alentejo zu finden, in Monsaraz. Das tausend Jahre alte, idyllische Dorf erinnert daran, dass auch Bethlehem vor 2.000 Jahren vor allem eine ganz normale Siedlung war. So empfangen den Besucher in Monsaraz über ein halbes Hundert lebensgroße Gestalten von Mensch und Tier, geformt aus Metall, Keramik und pastellfarbenen Tüchern. In stummer Präsenz säumen sie die Gassen bis hinauf zur Burg und repräsentieren Wein- und Ackerbau und Handwerksberufe. Dort steht ein Wächter der Burg, die im Mittelalter ein Zentrum der Tempelritter war, dazu gesellen sich Scherenschleifer und Töpfer, Wasserträger, Eselstreiber, Frauen und Kinder, ein feuriges Pferd. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Figuren in sanftes Licht gehüllt, ein ganz besonderer Effekt.
Monsaraz; Distrikt Évora: 38°26’21.59″ N -7°22’29.99″ W
Die Krippenrituale
Wer übrigens in Portugal eine Krippe sieht, in der das Jesuskind fehlt: Nein, es wurde nicht gestohlen. Vielerorts wird die Figur erst in der Weihnachtsnacht ins Stroh gelegt.
Krippen sind nicht die einzigen Rituale der Vorweihnachtszeit. Auf den zentralen Plätzen der Ortschaften von der Nordregion Trás-os-Montes bis hinunter zum Alto Alentejo wird der ‘Madeiro de Natal’ aufgetürmt, ein mehrere Meter hohes Gebilde aus Baumstümpfen, Ästen, Zweigen und Laub, das bis zum Dreikönigstag brennen muss. Die Kleinstadt Penamacor ist bekannt für das größte Weihnachtsfeuer im Land. Nur Bäume, die sowieso gefällt werden müssten, dürfen verbrannt werden, dafür gibt es sogar ein uraltes Gesetz. Ersatzweise können Familien etwas von ihrem eigenen Brennholz spenden. Mancherorts dürfen nur bestimmte Gruppen das Holz vorbereiten: Manchmal die frisch Verheirateten, mal nur die Männer, mal Menschen, die lange Zeit in der Fremde gelebt haben. So hat die Sozialgeschichte des Landes über Generationen Einzug in vorweihnachtliche Bräuche gehalten.
Madeiro de Natal / Penamacor; Distrikt Castelo Branco; 40°10’5.88″ N -7°10’1.99″ W
Das isst man zu Weihnachten
Wer nach traditionellen Weihnachts-Mahlzeiten fragt, erfährt, dass zur Nahrung stets das diente, was das eigene Stückchen Land hergab oder was den Fischern ins Netz ging. Die Zeiten haben sich geändert, doch die alten Rezepte sind geblieben und unterscheiden sich von Region zu Region: Vom landesweit beliebten ‘bacalhauʼ, dem Stockfisch, der früher sehr preiswert war und sich zudem leicht konservieren lässt, bis zur ‘açorda alentejanaʼ, einer Suppe mit Knoblauch, Brot, Olivenöl und Koriander, manchmal mit Ei (die ‘açorda alentejanaʼ ist inzwischen zum hippen Szene-Gericht in Japan und China avanciert). Auch gekochter Tintenfisch, gefüllter Truthahn und gebratenes Lamm gehören zum Fest oder Schweinefleisch mit Venusmuscheln und Gerichte aus Süßkartoffeln.
Das ‘Bolo-Rei’ Gebäck
„Ich hoffe, ich bekomme die Bohne, die, so will es der Brauch, im Bolo-Rei steckt…“ So beginnt ein Weihnachtsgedicht des Lyrikers Vasco Graça Moura. Der ‘Bolo-Rei’, der König unter den Kuchen, gehört in Portugal untrennbar zur Weihnachtszeit, ein aromatisches Gebäck aus Hefeteig mit reichlich kandierten Früchten, das bis zum Dreikönigstag in keinem Haus fehlen darf. Der ursprüngliche ‘Bolo-Rei’ kommt aus der ‘Confeitaria Nacionalʼ an der Praça da Figueira in Lissabon, seit 1829 Portugals erste Adresse für Backwaren. Hinter dem Kuchen steht eine kuriose Geschichte: Als 1910 die Monarchie gestürzt wurde, beriet das Parlament darüber, den ‘Bolo-Rei’ in ‘Bolo-República’ umzubenennen, doch schließlich siegte wohl der Gedanke, dass derjenige der wahre König ist, auf dessen Gabentisch das bunte Backwerk steht.
Traditionell ist im Teig der ‘regalito’ (kleine Gabe) versteckt, normalerweise eben eine Bohne. Wer sie in seinem Stück entdeckt, bewahrt die Erinnerung an Stunden des Zusammenseins, wie der Dichter schreibt, und weckt die Vorfreude auf das nächste gemeinsame Weihnachtsfest, zu dem dann der Finder den ‘Bolo-Rei’ spendiert. Wem der Kuchen zu süß ist, wählt ‘Bolo-Rainha’: Die ‘Königin unter den Kuchen’ ersetzt die Zuckerfrüchte durch Pinienkerne, Nüsse, Mandeln und Rosinen.
Bolo-Rei / ConfeitariaNacional, Praça da Figueira 18, Lissabon, 38º42’47.43 N, 9º08’17.41 W
Die Bedeutung des Essens
Weihnachtliche Zutaten erzählen von Leben, Geschichte und Kultur Portugals. Noch bis ins 20. Jahrhundert war Honig der Süßstoff armer Leute, denn Bienenhaltung garantierte den Blütennektar auch für Haushalte, die sich keinen teuren Zucker leisten konnten. Gewürze, die Gaben des Orients, waren mit den portugiesischen Entdeckungsfahrern nach Europa gelangt und standen für erworbenen Wohlstand. Äpfel, Feigen, Kastanien und Mandeln hingegen wuchsen überall für jedermann zugänglich. Die reichhaltigsten Rezepte stammten aus Klöstern, aus den Küchen des Adels und der Kaufleute in den Zentren des Überseehandels.
Lebkuchen in der portugiesischen Form als ‘broa de melʼ mit exotischen Gewürzen hat in der Seefahrernation lange Tradition. Honig im Teig symbolisiert Sonne, Licht; ‘broa de melʼ wurde im Mittelalter nur in Klosterapotheken verkauft, als Heilmittel.
Auch der ‘Tronco de Natal’ ist sehr beliebt, eine mit Schokolade überzogene, einem Baumstamm mit Verästelung nachempfundene Biskuitrolle. Ebenso darf Marzipan nicht fehlen, jedoch ganz anders als auf deutschen Weihnachtstafeln. Aus der Algarve kommen ‘doces regionaisʼ, filigrane Petits Fours aus gefülltem Marzipan, die jetzt zu jahreszeitlichen Symbolen geformt werden.
Die Bedeutung des Essens zeigt sich sogar in alten Weihnachtsliedern, wo dem Jesuskind ein ‘boquinha de requeijãoʼ, ein Mündchen aus frischem Quark zugeschrieben wurde, oder ein ‘boquinha de marmeladaʼ, ein Mündchen aus Quittenkonfitüre.
Das Neujahrsritual
Schließlich gehört in Portugal auch zur Jahreswende ein kulinarisches Ritual. Wenn um Mitternacht die Glocken das neue Jahr einläuten, verzehrt man zwölf Rosinen. Jede steht als Glücksbringer für einen der kommenden zwölf Monate.
In diesem Sinne: Boas festas – Frohe Feiertage!