Nordsardinien ist mehr als die Costa Smeralda. Westlich der Nobelküste schmiegen sich kleine aber feine Sandbuchten in die felsige Küstenlandschaft während sich das Hinterland mit Korkeichen, uralten Olivenbäumen, schroffen Gebirgszügen und Zeugnissen einer jahrtausendealten Kultur wild und urwüchsig präsentiert. Ein guter Ausgangspunkt für Erkundungen in der Region Gallura im Norden von Sardinien ist das Küstenstädtchen Palau mit dem berühmten Bärenkapp.
Wer ihn einmal gesehen hat, den lässt er nicht mehr los. Erhaben thront der „Bär“ auf dem Felsplateau Capo d’Orso und bewacht die Küste von Nordsardinien. Von Palau und dem gegenüberliegenden La-Maddalena-Archipel im Westen bis nach Korsika im Norden und zum Golf von Arzachena im Osten hat der Koloss aus Granit alles im Blick. Neben dem über Millionen Jahren von Wind und Wasser modellierten Felsen fühlt man sich recht unbedeutend, was der grandiose Panoramablick allerdings schnell vergessen macht. Das Bärenkapp ist nur einer von vielen Wow-Momenten in der Region Gallura, wenn auch der beeindruckendste.
La Maddalena
Gerade für Insel-Neulinge birgt Nordsardinien zwischen touristisch geprägten Küstenorten, abenteuerlichen Felsformationen, charmanten Bergstädtchen und einsamen Landstrichen Sucht-Potenzial. Weit fahren muss man zu den umliegenden Attraktionen nicht. Auf die Insel La Maddalena gelangt man zum Beispiel von Palau mit der Fähre in gerade mal 15 Minuten. La Maddalena ist die Hauptinsel eines einzigartigen Insel-Archipels und maritimen Nationalparks zwischen Sardinien und Korsika.
Im Hauptort La-Maddalena-Stadt laden schmucke Gassen mit Geschäften, Cafés und Restaurants zum Flanieren und Verweilen ein. Die palmengesäumte Uferpromenade, der alte Fischerhafen, stattliche Palazzi wie das Rathaus und die imposante Kirche Santa Maria Maddalena verleihen dem Städtchen seinen eigenen Reiz. Und, ja, Sardinien erinnert tatsächlich an die Karibik, wie ein Bootsausflug durch den Maddalena-Archipel zeigt. An der Marina in Palau hat man die Qual der Wahl zwischen zahllosen Segelbooten, Yachten und Katamaranen, die zu Tagesausflügen durch die kristallklaren Gewässer der Inselwelt einladen. Die Boote steuern die schönsten Strände und Buchten an, bieten Mittagessen und Verpflegung und natürlich reichlich Gelegenheit, in die türkisblauen Fluten einzutauchen.
Palau – Hafenort mit maritimem Charme
Palau selbst lässt für Reisende keine Wünsche offen. An den hellen, freundlichen Häusern ranken leuchtende Bougainvilleen in ungeahnter Pracht, Oleanderbäume duften in der Sommersonne. Bei einem Bummel durch die Geschäfte mit Kunsthandwerk, Mode und Schmuck lässt sich der ein oder andere Nachmittag verbringen. An Restaurants verschiedener Qualität und Preisklasse mangelt es ebenso wenig wie an netten Cafés rund um den Hafen, kleinen Supermärkten und hübschen, palmenbeschatteten Plätzen, auf denen man sich durch die exotischen Eissorten der Gelateria Fiore di Maggio probieren kann.
Spiaggia di Sciumara – Nordsardinien
Der größte Strand Palaus ist die Spiaggia di Sciumara, rund 500 m lang, mit feinem Sand und Strandbar. Direkt an den Ort schließen sich zwei kleinere Strände an: Östlich vom Yachthafen zieht sich ein sandiger Strand mit ein paar verstreuten, flachen Granitsteinen bis zu einem Pinienwald. Richtung Westen gelangt man vom Fährhafen über die schöne Uferpromenade, vorbei an glattpolierten Tafonifelsen, zum Palau Vecchio-Strand. Die kleine Bucht wird auch von Einheimischen genutzt und hat eine nette, familiäre Atmosphäre. Für Durst und den kleinen Hunger gibt es eine in die Felsen gebaute Bar, ein Pinienhain spendet am Nachmittag Schatten. Besonders schön ist der Ausblick auf die Maddalena-Insel und die gemächlich hin und her tuckernden Fähren.
Das Landesinnere − Nuraghenkult und ein „Heiliger Ort“
So schön die Küste ist, das Landesinnere hat mindestens ebenso viel zu bieten. Hier zeigt sich das „echte“ Sardinien mit seinen Traditionen, Kultstätten und einer rauen, ungezähmten Natur. Ein Ausflug in die Kulturgeschichte der Gallura führt zunächst nach Arzachena. Rund um die Kleinstadt befinden sich mehrere Gigantengräber und das Nuraghendorf La Prisgiona. Die für Sardinien so typischen wie einzigartigen Siedlungen aus der Bronzezeit sind in Nordsardinien eher selten anzutreffen. Umso beeindruckender sind die steinernen Rundbauten von La Prisgiona.
Rundbauten von La Prisgiona
Zu dem Komplex gehören ein Hauptturm mit exakt gearbeiteten Steinquadern, die Grundmauern bronzezeitlicher Häuser und Werkstätten sowie ein Brunnen, dessen Quelle noch heute Wasser führt. Am Grunde des Brunnens fanden die Archäologen Vasenreste und Schmuck, was sie als religiöse Verehrung des Wassers deuteten. Wie bei allen Nuraghen bleiben auch bei La Prisgiona Bedeutung und Zweck der Anlage letztlich rätselhaft. Als die Fundstätte 1959 entdeckt wurde, hielten die Forscher sie zunächst fälschlicherweise für ein Gefängnis, was im sardischen Dialekt eben „Prisgiona“ heißt.
Der Ort Luogosanto
Tiefer im Landesinneren zeugt der Ort Luogosanto von tiefer Religiosität. Im Zentrum des beschaulichen Bergstädtchens steht die Kirche Nostra Signora di Luogosanto. Die Kirche wurde im 12. Jahrhundert von Franziskanermönchen errichtet, die hier eine Marienerscheinung hatten. Die liebevoll ausgestattete Basilika ist für die Sarden eine bedeutende Pilgerstätte, besonders in den Jahren, in denen die Heilige Türe der Kirche geöffnet wird. Rund um Luogosanto, den „Heiligen Ort“, gibt es noch rund 20 weitere Landkirchen.
Besonders schön – auch wegen seiner spektakulären Lage auf einem Felsplateau – ist das Kirchlein San Trano. Einen Kilometer außerhalb von Luogosanto muss man die Kirche zwischen riesigen Granitbrocken, struppiger Macchia und Steineichen fast suchen. San Trano ist zwei heiligen Eremiten gewidmet, die hier einst gelebt haben sollen. Im Innern laden schlichte Holzbänke ein, den aus einem einzigen Granitblock gemeißelten Altar zu bewundern. Zurück in der sommerlichen Hitze fasziniert die Aussicht auf Luogosanto und die hügelige Landschaft bis hin zur Küste.
In der Holzklasse nach Tempio Pausania
Wer noch mehr authentisches Sardinien erleben will, fährt mit der nostalgischen Schmalspurbahn Trenino Verde nach Tempio Pausania. Durch Tempio, rund 600 Meter hoch am Fuße des Limbara-Bergmassivs gelegen, weht auch an brütend heißen Sommertagen eine frische Brise. Gleichzeitig ist die Stadt Sardiniens Zentrum der Korkverarbeitung.
Der Weg ist das Ziel
Der Trenino Verde startet im Hafen von Palau und fährt, oder besser schnauft die rund 60 Kilometer in die galluresische Hauptstadt durch eine spröde und wilde Landschaft: Mal geht es haarscharf an den Felsen vorbei, mal durch abgegraste, magere Viehweiden und weite Hügellandschaften. Am Streckenrand sprießen Agaven und Kaktusfeigen aus dem staubtrockenen Boden. Hier und da lugt ein Stazzo, ein typisch sardisches Gehöft, zwischen den Hügeln hervor, sonst nichts als Natur und Weite. Am tiefblauen Liscia-See mit sandigen Ufern hält das Bähnchen für einen Fotostopp. Danach geht es langsam hinauf in die Ausläufer der Limbara-Berge, durch Korkeichenwälder und vorbei an Fabrikgeländen, auf denen Stapel von Korkrinden in der Sonne trocknen.
Nordsardinien als Korkproduzent
Sardinien, und vor allem die Gallura, ist der wichtigste Korkproduzent Italiens. Aus den getrockneten Baumrinden werden Wand- und Bodenbeläge, Schuhe, Bilderrahmen und Taschen, allerlei Souvenirs wie Schatullen, Lesezeichen und Postkarten und natürlich Weinkorken hergestellt. In Tempio angekommen, gelangt man vom historischen Bahnhof durch einen Park direkt in die verwinkelten Gassen der Altstadt. Hier ist fast jedes Haus aus Granit, dem hellen, leicht glitzernden „Rosa Sardo“, der nur in der Gallura vorkommt und in den Bergen des Monte Limbara abgebaut wird. Schmiedeeiserne Balkone, Fensterläden, einladende Plätze und fliegende Händler prägen den historischen Ortskern. Die schönste Flaniermeile ist die Via Roma, die geradewegs zur Kathedrale San Pietro und dem historischen Rathaus führt. Am besten lässt man die geschichtsträchtigen Fassaden in einem der Straßencafés auf sich wirken.
Neben Kork und Granit ist Tempio auch für seine Mineralquellen aus den umliegenden Bergen bekannt. Etwas außerhalb des Zentrums führt die Via Fonte Nuova zu einem kleinen Park, in dem das Quellwasser über steinerne Kaskaden plätschert.
Uralte Steineichen und Kiefern verwandeln das Fleckchen in der Mittagshitze in eine schattige Oase. Einige Tempiesi verbringen auf den Bänken ihre Mittagspause, ein perfekter Ort zum Abschalten. Der Blick schweift über die rostroten Dächer der Stadt bis zum Limbara-Massiv. Schroff und zackig ragen die Berge in den blauen Himmel – wie eigenwillige Wahrzeichen dieser ungezähmten Region. Ich genieße den Ausblick, schlendere zurück durch die Gassen, dann geht es mit der kleinen grünen Bahn zurück Richtung Küste.
OLIMAR Tipps für Nordsardinien
Aktiv in Nordsardinien: Surfen in Porto Pollo
Endloser weißer Strand, smaragdgrünes Wasser, eine herrliche Dünenlandschaft und vor allem perfekte Windverhältnisse machen die Bucht von Porto Pollo zum Hot-Spot für Surfer. Das Paradies für Wellenreiter liegt zwischen Palau und Santa Teresa di Gallura. Eine Surfschule bietet Kurse im Wind- und Kitesurfen für Anfänger und Fortgeschrittene und Surfkurse für Kinder. Außerdem kann man Segelausflüge machen, Tauchkurse belegen und Tretbootfahren. Zum Serviceangebot gehören Cafés, Restaurants sowie Parkplatz und Campingplatz.
Kulinarik-Tipp: Sardischer Weißwein
Im Capichera-Tal bei Arzachena liegt das Weingut Tenuta di Capichera. In der fruchtbaren Erde des Tals gedeiht der erstklassiger Weißwein Vermentino di Gallura. Als einziger sardischer Wein trägt er das Gütesiegel DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita), die höchste Auszeichnung, die ein Wein erhalten kann. Der Vermentino wird auch in Tempio Pausania, Berchidda und Monti angebaut.