Verborgen unter der Landschaft des Alentejo, mit seinen pittoresken Dörfern und reichen Korkeichenfeldern, ruht der geologische Schatz der portugiesischen Region: Marmor. Auf einem Roadtrip mit dem Mietwagen, der so genannten Marmorroute, erlebst Du die Geschichte dieser Industrie aus nächster Nähe.
„Endlos ist die Landschaft dieser Erde. So viel an anderem auch fehlen mochte, an ihr war niemals Mangel. Ein Überfluss, der nur als rastlos wirkendes Wunder zu erklären ist, war doch die Landschaft ohne Zweifel vor dem Menschen da, und doch ist sie vom langen Sein noch nicht erschöpft.“ So beginnt der Roman ‘Hoffnung im Alentejo‘, den Portugals Literatur-Nobelpreisträger, José Saramago im Jahr 1980 verfasst. Und er schrieb über die Region, die mehr als jeder andere Landesteil mit Weite verbunden ist und mit dem, was in harter Arbeit entsteht. Es geht nicht nur um Kork, Oliven und Wein. Sondern auch um Stein und Marmor.
Von Estremoz, über Vila Viçosa bis zur spanischen Grenze: überall liegt Marmor
Der feste, polierfähige Kalkstein aus den Mineralen Aragonit, Kalzit und Dolomit aus dem Erdaltertum vor rund 400 Millionen Jahren, ruht in einem etwa 42-mal acht Kilometer großen geologischen Sattel. Dieser dehnt sich von Sousel und Estremoz, im Nordwesten des Alentejo, bis an die Ausläufer der ‘Serra de Ossa’, über Borba und Vila Viçosa aus. Das Marmorvorkommen zieht dann weiter bis Alandroal, kurz vor der spanischen Grenze im Südosten. Aus dieser Gegend stammt, der älteste Beleg für die Verwendung von Marmor: Ein Grabstein, den ein Offizier des karthagischen Feldherrn Hannibal, vor 2.200 Jahren auf seinem Zug durch den Süden der Iberischen Halbinsel, anfertigen ließ.
Marmor im Alentejo: ein wenig bekanntes, aber geschätztes Exportprodukt
Das Gestein hat bis heute weder an Wert, noch an Popularität verloren. Carrara in der Toskana ist weltberühmt als Ort, an dem Michelangelo seinen Werkstoff persönlich aussuchte. Und wo, James Bond seinen Verfolgern in rasender Fahrt, durch einen Steinbruch entkam. Das Marmorreservoir in Portugals Süden ist weniger bekannt, seine Erträge aber ebenso weltweit geschätzt: Portugiesische Kolonialherren ließen Marmor aus dem Alentejo für Prunkbauten nach Afrika, Indien und Brasilien bringen. Ludwig XIV., Frankreichs Sonnenkönig, orderte den Stein für den Bau seines Schlosses in Versailles. Heute ist Alentejo-Marmor in den Park-Kolonnaden am Potsdamer Platz in Berlin ebenso präsent, wie in der japanischen Zentralbank in Tokio. Der wertvolle Baustoff findet auch im eigenen Land schon immer Verwendung.
In den Steinbrüchen von Estremoz und Vila Viçosa erlebt man das Farbenspiel des Marmors
Das Marmor etwas Besonderes ist, offenbart sein Farbenspiel in der Sonne. Rosig, weiß und cremefarben schimmert es in den Steinbrüchen, rund um Estremoz. Aber auch in Schwarz und Grau zeigt sich der Marmor edel. Rund um Vila Viçosa fördern die Mitarbeitenden, zudem einen nahezu grünlichen und auch rosa Stein.
Im Frühling, ähnelt das Gelände zwischen knorrigen Bäumen, Rebstöcken, sanften Hügeln und weiten Feldern einer bunten Blümchentapete. Dies macht die Ausflüge landschaftlich noch reizvoller. Dort, wo Marmor, das steinerne Gold der Region gefördert wird, wirkt die Postkartenlandschaft des Alentejo, wie von einer gewaltigen Geisterhand aufgerissen, bis zu 150 Meter tief. Zudem sind derzeit etwa achtzig Steinbrüche aktiv.
Marmor – die Geschichte einer Industrie
Seit über zweitausend Jahren ziehen Hacken und Sägen, tiefe Furchen in die Landschaft. Damals wurden die Marmorblöcke mit der Hand geschlagen und auf Holzrollen und mit Viehkarren abtransportiert. Bei einem großen Quader dauerte es Monate, bis er aus dem Fels gelöst war und weitere Wochen, bis er von seinem Ursprungsort beispielsweise nach Évora gelangte. Viele regionale Wahrzeichen wurden mit Marmor der Region erbaut. Wie zum Beispiel, der Sockel des römischen Tempels, aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, ein Wahrzeichen der Alentejo-Metropole, ebenso wie die mittelalterliche Kathedrale der Stadt. Ebenso zahlreiche andere Monumente, von denen Historiker nur dank alter Quellen und archäologischer Ausgrabungen wissen, dass es sie gegeben haben muss. Und zwar in der Spätantike. Als die christliche Religion sich verbreitete, endeten viele Marmorstatuen, die Göttern und Herrschern des zerbrochenen Römischen Reichs gewidmet waren, in Kalköfen. So entstand der Mörtel für die Symbole der neuen Zeit.
Die Städte entlang der Marmorroute, zeigen viel Symbolisches und Typisches. In Alandroal ist der Marmor, nicht nur im denkmalgeschützten Ortszentrum, überall zu sehen. Der Ort gehört zu den Stätten mit besonders vielen historischen architektonischen Schätzen. Und die nahegelegenen Burgen ‘Juromenha’ und ‘Terena’ warten mit wunderbaren Panoramen auf Dich.
Die Orte der Marmorroute gleichen einem Freilichtmuseum
Die Stadt Borba wird oft im Zusammenhang mit edlen Alentejo-Weinen genannt. Doch das Wahrzeichen des Ortes, ist der Brunnen ‘Fonte das Bicas’. Er ist aus dem Marmor der nahen Steinbrüche gebaut. Die Gemeinde ließ ihn im Jahr 1781 für die Wasserversorgung der Bevölkerung errichten, die sich sittenstreng geteilt an drei Wasseraustritten bedienen konnte, für „Unverheiratete“, „Verheiratete“ und „Verwitwete“. Ein Labyrinth aus kleinen Säulen und Verstrebungen, sollte Tiere von der Tränke fernhalten.
Sousel – Marmorroute
Der Ortskern von Sousel, steht unter Denkmalschutz. Die Kleinstadt besticht mit einer Reihe von historischen Herrenhäusern und fantasievoll gestalteten Brunnen und symbolisiert den Reichtum, den das Marmorgewerbe hier einst produzierte.
Estremoz
Und Estremoz ist vermutlich die portugiesische Stadt, die am häufigsten Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen war. Und das von der Reconquista bis zur napoleonischen Besatzung. Im Mittelalter arbeitete hier Portugals wichtigste Getreidebörse; Estremoz war wohlhabend, was sich auch in historischen Bauten manifestiert. Aus dieser Vergangenheit folgt: Die Stadt ist ein abwechslungsreiches Freilichtmuseum, für die gesamte Landesgeschichte und der edle Stein ist allgegenwärtig.
Marmorroute – Vila Viçosa
Vila Viçosa beherbergt das regionale Marmor-Museum und wurde im Jahr 1500 zur Residenz der Herzöge von Bragança, wovon bis heute die (marmor-)reiche Architektur zeugt, nicht nur am prächtigen Adelssitz ‘Palácio Ducal’. König D. João IV, in Vila Viçosa geboren und der erste Herrscher aus dem Hause Bragança, befreite 1640 sein Land von der spanischen Herrschaft. Sein Denkmal steht vor dem Palast auf einem Sockel, aus Marmor seiner Heimatstadt.
Auch die Küche rühmt sich in Vila Viçosa einiger Besonderheiten, die es sonst nirgends in Portugal gibt: Über Jahrhunderte beherbergte die Stadt immer wieder adelige Gäste, die ihr eigenes Küchenpersonal mitbrachten. Die Gastwirte der Gegend waren begierig, das eine oder andere Rezept ihrer Kollegen kennenzulernen und in ihre Küche zu integrieren, was bis heute Spuren in der lokalen Gastronomie hinterließ.
Marmor-Abbau im Alentejo: fast 400.000 Tonnen im Jahr
Die Marmor-Vorkommen im Alentejo sind so umfangreich, dass das Gestein noch 500 Jahre lang Marmor abgebaut werden könnte; nur ein knappes Drittel der Lagerstätten ist industriell erschlossen. Derzeit werden pro Jahr knapp 400.000 Tonnen abgebaut. Wer heute die Steinbrüche besucht, sieht wuchtige Marmorstücke, die durch Sprengungen aus dem Berg gebrochen wurden, und Schwertransporter, Bagger und Raupen unterwegs auf den Abbauterrassen. Motoren heulen. Die Arbeit im Marmortagebau ist aufwendig und gefährlich. Zunächst werden Löcher in den Fels gebohrt und Spalten gesägt, durch die anschließend mit Diamanten besetzte Stahltrossen rotieren.
Die oft haushohen und an die 20 Tonnen schweren Marmorblöcke, werden mit Lösekissen unter Wasserdruck aus der Felswand geschoben. Und dann in kleinere Teile zerlegt und zur Weiterverarbeitung gebracht. Für die Bauwirtschaft wird der Marmor verwendungsfertig auf unterschiedliche Maße gebracht. Um die Steinmassen für den Lkw-Transport zu sichern, ist viel Erfahrung nötig, schließlich wiegt ein Kubikmeter etwa 2,8 Tonnen. Über all dem brennt im Sommer gnadenlos die Sonne, im Winter macht der Regen den Boden glitschig und die Steinblöcke können unberechenbar werden.
In vielen Branchen anwendbar
Im Einzugsgebiet der Marmorbrüche haben sich verarbeitende Betriebe angesiedelt. Technische Daten, wie Festigkeit und Schleifbarkeit und die Seltenheit der Sorte, bestimmen den Wert des Gesteins. Auch die Architektur-Mode beeinflusst, welcher Marmor gerade gefragt ist. Alles, was aus dem Bauch der Erde kommt, hat einen Nutzen. Gesteinsabfall lässt sich zu Pulver zermahlen und dieses wieder zu Platten pressen. Marmorstückchen werden so bearbeitet, dass aus ihnen Bodenbeläge hergestellt werden können. Der Kleinstabfall ist ein gefragter Rohstoff in der Chemieindustrie, für Kosmetik und Pharmazeutika.
Marmor: Die gesamte Region lebt vom weißen Gold
Viele Kunstschaffende kommen in die Marmorbrüche im Alentejo. Angehende Bildhauer der Hochschule für Kunst und Design im spanischen Mérida, holen sich regelmäßig ihr bevorzugtes Arbeitsmaterial im nahen Alentejo. „Marmor ist einerseits sehr hart und schwer zu bearbeiten, andererseits ist es aber auch ein empfindlicher Stein, mit dem man bei der Arbeit beinahe in einen Dialog eintritt,“ sagt einer von ihnen. Der Marmor „lehrt uns, was Ewigkeit bedeutet und dass ein Mensch nur einen unbedeutend winzigen Teil der Zeit erlebt. Auch das möchten wir in unserer Kunst aus Marmor ausdrücken.“
Der britische Komponist Christopher Consitt Bochmann, der bis zu seiner Emeritierung 2020 an der Universität Évora Musik lehrte, hat eine künstlerische Form der Nutzung der steinernen Schluchten entdeckt: ‘Pedreira dos Sons’ – ‘Steinbruch der Klänge’ heißt seine klassische Konzertreihe, die in Viana do Alentejo vor dieser ungewöhnlichen Kulisse, mit einzigartigen akustischen Qualitäten stattfindet.
Marmorroute individuell mit dem Mietwagen erkunden
Auf der Rota Tons de Mármore, der Route in den Farben des Marmors kann man die steinerne Welt erkunden, die Industriegeschichte der Region kennenlernen und gleichzeitig Landschaft, Küche und Kultur genießen. Dreizehn Steinbrüche (darunter ein unterirdischer in Vila Viçosa), verschiedene verarbeitende Betriebe, Künstlerateliers, eine Werkstatt in Sousel, die sich auf die Restaurierung von Marmor an historischen Bauten spezialisiert hat, sowie Hotels und viele Restaurants haben sich diesem Projekt angeschlossen.
Geschichtsforschende und Landschaftsarchitekten bieten Führungen an. Wer die steinerne Marmor-Welt lieber individuell erkunden möchte, kann das Marmorgebiet mit dem Auto oder dem Fahrrad über Nebenstraßen erkunden, die die Orte verbinden und auf ausgewiesenen Wanderpfaden in der ‘Serra de Ossa’ spazieren gehen.
Unsere Reiseempfehlungen
Bei OLIMAR kannst Du Dir eine Mietwagenreise, entlang der Marmor-Sehenswürdigkeiten individuell zusammenstellen lassen. Wenn Du Marmor mit weiteren landschaftlichen und kulinarischen Erlebnissen kombinieren möchtest, empfiehlt sich die Erlebnisreise “Alentejo für Genießer“.
Diese führt u. a. an Évora, Vila Viçosa, Estremoz und Borba vorbei. Die letzten drei bilden das sogenannte „Marmordreieck“ im Alentejo. Was liegt also näher als einen Marmorbruch im Rahmen einer rund einstündigen Führung, die wir für Dich inkludiert haben, zu besichtigen? In Vila Viçosa erläutert zudem ein sehenswertes Kunst- und Industriemuseum, die Geschichte des Gesteins: Museu do Mármore.
Ein Hotel-Tipp in diesem Ort ist das Alentejo Marmoris Hotel & Spa. Das Boutique-Hotel entstand aus der Restaurierung einer alten Marmormühle. Im Inneren durchzieht sich Marmorstein in seinen verschiedenen Arten und Formen, durch alle Räume.