Einen Artikel schreiben über meine Lieblingsorte im Alentejo? Das ist einfach, denke ich. Schließlich habe ich in meinem Buch „111 Orte im Alentejo die man gesehen haben muss“, so viele schöne Orte vorgestellt. Als ich den Stift aber bereits zum zweiten Mal ansetze, halte ich inne.
Lieblingsorte? Ein großes Wort. Eines, das etwas suggeriert: Einen Ort, den andere nicht kennen oder der derart versteckt liegt, dass ihn kaum jemand findet. Doch Hand aufs Herz: Mit dem Smartphone in der Hand, bleibt heutzutage kein Ort lange mehr geheim und wir fühlen uns alle aus bestimmten Gründen an dem einen Ort wohler als an anderen. Möchten hier oder dort gerne länger verweilen – vielleicht sogar bleiben.
Die Sache mit der „Saudade”
Das hat mit diesem verflixten „Saudade”-Ding der Portugiesen zu tun. Mit der Sehnsucht, die wir alle kennen und oft nicht in der Lage sind, zu benennen. Doch plötzlich steht der Himmel in Flammen, das Meer spiegelt golden das Licht wider, die Hand des Liebsten ruht in deiner, lauer Wind säuselt dir um deine nackten, vom Sand verklebten Zehen, von weither rieselt Musik an dein Ohr … und plötzlich gibt es keinen schöneren Ort auf der gesamten Welt. Der Kloß im Hals ist groß, und nie wieder möchtest du von hier fort. Was also könnten meine Lieblingsorte im Alentejo sein?
Lieblingsorte im Alentejo für Verliebte
Mit Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Strandliegen unter Sternenzelt? Romantik pur? Das gibt es alles und an jedem Meter Küste im Alentejo. An manchen Orten sogar besonders reichlich davon. Dazu zählen die Insel Ilha de Pessegueiro südlich von Porto Covo oder der Stelzenhafen Palafítico in Carrasqueira. Natürlich auch die Blaue Küste Costa Azul, wo eine Tümmler-Familie zu Hause ist.
Lieblingsorte im Alentejo zum Entschleunigen
Fern ab von großen Städten, ohne Lärm und dauernde Geschäftigkeit. Inklusive einer kleinen Reise in die Vergangenheit. Das kann man bestens rund um den Stausee Barragem de Alqueva – in einem der vielen idyllischen weißen Dörfern. In Amieira kann man mit einem Hausboot in See stechen und sogar an Bord übernachten. In Monsaraz, in der Schieferburg auf dem einzigen Hügel der Umgebung, verliert man sich in der sagenhaften Aussicht. So fern scheint in jede Himmelsrichtung der Horizont. Und nirgendwo sonst in Europa glitzert das nächtliche Himmelszelt stärker als im Sternenpark Alqueva, wo es kaum Lichtverschmutzung gibt und es nachts so dunkel ist, dass die Milchstraße zum Greifen nahe scheint.
Lieblingsorte im Alentejo mit historischer Bedeutung
Davon gibt es wirklich viele im Alentejo! Am Platz Largo de Conde de Vilar Flor, im Herzen von Évora treffen, am römischen Tempel 2000 Jahre Zeitgeschichte aufeinander. Hier steht man unter Platanen im Schatten des einstigen Inquisitionsgerichts. Dieser Platz hat Menschheitsgeschichte geschrieben – und man kann dankbar sein, ihn im dritten Jahrtausend zu besuchen, nicht im Zeitalter der Hexenverbrennung.
In Guadalupe begrüßen Dich über 180 Steinmänner und -Frauen. Es sind Menire, die seit vielen tausend Jahren in Gruppen und Kreisen, mitten im Korkeichen-Hain stehen. Sie scheinen die Belange der Welt zu besprechen, so einander zugeneigt stehen sie da. Großes Glück ist es, diesen Ort allein und schweigend zu erleben. Erst dann spürt man die innere Magie des Ortes und die Energie unserer Vorfahren, die, mit ein wenig Phantasie, in jedem dieser uralten Steingesellinnen fortlebt.
Etwa einen Kilometer nördlich der Stadt Elvas: Auf der Terrasse der größten noch intakten Verteidigungsanlage Forte de Nossa Senhora da Graça, fällt der Blick hinab auf ein verwirrendes Festungsgemäuer. Kilometerweit erstrecken sich hier unterirdisch angelegte Kasematten, die aus dem Hügel am einst hart umkämpften Grenzposten Elvas emporwachsen. Nirgends sonst echot in Portugal der unbedingte Wille des Volkes zur Souveränität, lauter aus der Vergangenheit in die Gegenwart als hier – am einstigen Schauplatz der wiedererlangten Unabhängigkeit Portugals.
Mein persönlicher Lieblingsort: Die Stätte der Freiheit mit Nelke
Portugalliebhabende und Portugalliebhabende, kennen das Lied vom Braunen Dorf Grândola Vila Morena, das in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1974, als Startschuss für den Militärputsch zum Sturz der Diktatur, im Radio übertragen wurde. Der Text, samt Noten prangt auf Azulejos glasiert am Nelken-Denkmal auf dem Platz der Freiheit. Daneben eine schier endlos erscheinende Liste mit Namen von Portugiesen und Portugiesinnen, die im Kampf für Brüderlichkeit, Gleichheit, Einigkeit und Freiheit den Tod gefunden haben. Ein Mahnmal. Und damit niemand vergisst, wie teuer dieses menschliche Gut bezahlt wurde, ist auf der Rückseite der Gedenkstätte die gesamte Europäische Menschenrechtskonvention niedergeschrieben.
Die Stätte der Freiheit mit Nelke ist mein persönlicher Lieblingsort. Unprätentiös, eindrucksvoll und nachhaltig, erinnert Fliese für Fliese an den Freiheitskampf der Portugiesen – und gleichzeitig an alle anderen Freiheitskämpfenden auf dieser Welt.
Lieblingsorte im Alentejo für Genießer*innen
Zu guter Letzt: Kein Lieblingsort ohne Speis und Trank. Im Alentejo gehen Natur und Mensch oft noch Hand in Hand. Deswegen schmeckt es meist so ausgezeichnet. Was vor Ort gegessen und gekocht wird, kommt hier häufig noch aus dem Ort selbst.
Ein Roter der Region wärmt dazu den Magen, ein hausgebackenes Küchlein zum Kaffee beendet ein Mahl mit Hochgenuss. Wenn die Seele des Tischlein-deck-dich, des Alentejo aus der Küche über den Service spürbar und lukullisch an den Tisch findet, läuft mir bereits beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen.
Mein kulinarischer Lieblingsort: das Restaurant Molhé Bico in Serpa. „Bem-haja!” – lass es dir gut gehen im Alentejo.
„Im Alentejo sind selbst Bäume und Weidetiere glücklich, denn sie haben Platz und Ruhe. Ihre Zufriedenheit berührt mich allein durch Betrachten. Jeder Ausflug unterwegs im Alentejo beschert mir deswegen Auszeit für meine Gedanken und gleichzeitig Kraft für neue.
Mein Insider-Reiseführer „111 Orte im Alentejo die man gesehen haben muss“ erzählt von eben solchen Kraftorten und von vielen anderen, die man nur im Alentejo findet – und spürt.”
Catrin George Ponciano