Bei einem Ausflug ins Künstlerdorf Genalguacil verschwimmen die Grenzen zwischen Tradition, Kunst und Natur.
Jede Kurve ein Genuss: Die MA-8301 schlängelt sich von der Küste durch die Sierra Bermeja durch schattige Wälder mit Korkeichen, Kastanien, Pinien und der seltenen Pinsapo-Tanne. Zwischen den hohen Bäumen ragen rostbraune Felsen aus dem Boden, hier und da glitzert und rauscht ein Wasserfall. Am Aussichtspunkt Los Reales gleitet der Blick über das Naturschutzgebiet hinweg bis zur Serranía de Ronda. In der Ferne schimmert an einem Berghang ein weißer Fleck: Genalguacil im Tal des Rio Genal, das Ziel unseres Ausflugs.
Die Fahrt von Estepona dauert knapp eine Stunde. An der Einfahrt des Dorfes, das rund 400 Meter über dem Meeresspiegel liegt, grüßen zwei Schilder: „Pueblo Museo“ und „Genalguacil – Los Pueblos Más Bonitos de España“. Letzteres weist darauf hin, dass der Ort seit kurzem auch offiziell zu den „schönsten Dörfern Spaniens“ zählt. Gleich am Parkplatz das erste Kunstwerk: eine Skulptur aus braunem, fein marmoriertem Naturstein, ein Baum, vielleicht eine Pinsapo-Tanne.
Die Gärten des Wesirs
Das Objekt ist eines von 200 Kunstwerken, die in dem 500 Einwohner-Dorf ausgestellt sind. Sie sind das materielle Ergebnis der Encuentros de Arte, eines mehrwöchigen Treffens zwischen Einheimischen und Künstlern, das seit 1994 alle zwei Jahre stattfindet. Was die Maler, Bildhauer, Fotografen und Videokünstler aus Spanien und dem Ausland während ihres Aufenthaltes in Genalguacil schaffen, wird ins Ortsbild integriert. In engen Gassen, an schneeweißen Häuserwänden, an Treppenaufgängen, Haustüren und auf Ziegeldächern wird der Betrachter mit abstrakten und figurativen Werken konfrontiert, die einen Bezug zur Umgebung herstellen. Viele sind aus Materialien, die aus der Gegend stammen: Baumstümpfe, Kork, Blüten, Keramik, Korbweide. Andere beschäftigen sich konzeptuell mit dem Ort, mit seinen Einwohnern von heute und gestern, mit den maurischen Wurzeln von Gema-Al Wacir („Gärten des Wesirs“). Ein wichtiges Thema ist die Natur.
„Telereal“ heißt die Skulptur aus Holz, Keramik und Mauerwerk. Sie stellt eine Figur im Sessel vor dem Fernseher dar. Das Programm: der weite Ausblick in die Berge – hyperreal. Das fotogene Werk wurde von dem aus Süddeutschland stammenden Bildhauer Ralf Kiwus für die Biennale 2010 geschaffen und ist wirkungsvoll in einen Aussichtspunkt integriert.
Sofia Ostos und Rafael Ocaña haben aus den freigelegten Wurzeln eines uralten Olivenbaums expressive Gesichter geschnitzt. An einer Bushaltestelle trifft man auf den französischen Filmkomiker Jacques Tati („Die Ferien des Monsieur Hulot“).
Am alten Dorfbrunnen fließt das Wasser aus den Mäulern dreier Esel, ein Werk des Bildhauers Juan Ramón Gimeno. Zwischen zwei Dachsimsen spannt sich ein Bogen aus ausrangierten Stühlen, Fahrrädern und Blasinstrumenten. Die Installation „Arco de Viento“ („Windbogen“), 2016 von Isidro Lopez-Aparicio in Kooperation mit älteren Dorfbewohnern gefertigt, kreist um das Thema Erinnerungen.
Kultureller Hotspot
Was nicht wetterfest ist, kommt ins Museo de Arte Contemporáneo MAC. Das Museum mit über 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche ist nach Fernando Centeno López benannt, dem früheren Bürgermeister, der die Idee des Künstlerdorfes vorantrieb. Die im Museum präsentierten Werke sind multidisziplinär. So verbinden zum Beispiel die Französin Françoise Vanneraud und der Katalane José Medina Galeote Zeichnungen und Fotografien in einem Gemeinschaftswerk für die Biennale 2018. Es kreist thematisch um die Dorfgemeinschaft und die Landschaft des Genal-Tals. Einen ganzen Raum füllt die filigrane, schwebeleichte Installation „The Twins“ von Lola Guerrera. Sie ist aus Hunderten getrockneten Blüten gefertigt ist und bildet je nach Blickwinkel Kreise, Spiralen und andere dynamische Formen. In anderen Räumen sind Keramikarbeiten, Lichtinstallationen und Videos zu sehen.
Kunst der Gegenwart in einem abgelegenen Dorf, das wie so viele andere im Hinterland der Costa del Sol von Überalterung und Abwanderung bedroht ist: In Genalguacil geht das Konzept auf. Die renommierte Stiftung „Fundación Contemporánea“ hat Genalguacil in die Liste der 100 kulturellen Hotspots Spanien aufgenommen. Vor der ersten Biennale von 1994 zählte das Dorf, das 125 km von Málaga und 45 km von Ronda entfernt liegt, kaum 300 Einwohner. Besucher gab es damals nur wenige. Drei Jahrzehnte später kommen Menschen aus aller Welt nach Genalguacil, die Anzahl der Einwohner wächst. Einige Künstler haben sich permanent angesiedelt. Zu ihnen gehört der aus Argentinien stammende Maler Carlos Re, der 25 Jahre in Amsterdam gelebt hat. Sein Lieblingsplatz in seiner neuen Wahlheimat ist das Fenster seines Ateliers, von dem aus er über das Genal-Tal bis zum Felsen von Gibraltar blicken kann. Besucher sind willkommen.
OLIMAR Tipp
Für alle die sich einmal selbst von der Schönheit dieses Dorfes überzeugen wollen haben wir einige Hotel- und Rundreise Tipps. Am besten erkundet man es vom HOTEL PARADOR RONDA im Zentrum von Ronda. Auch wenn es eine Autostunde von Genalguacil entfernt ist, bietet dieses Hotel einen idealen Startpunkt für verschiedene andere Touren durch die Altstadt und die umliegende Bergwelt der Serranía de Ronda.