Schwarz-weiß, in Grautönen, manchmal in rosafarbenen Schattierungen – in ganz Portugal findet man Straßenpflaster mit besonderem Reiz. Alles über Calçada Portuguesa findest Du hier!
Wer als Reisender durch Ortschaften spaziert, um deren Flair kennenzulernen, betrachtet Häuser und Monumente, studiert den Baustil oder die exotische Botanik. In Portugal sollte man aber auch den Blick auf den Boden richten. Dort ist etwas typisch portugiesisches zu entdecken: „Calçada Portuguesa”. Dies ist eine Technik, Wege zu pflastern und dabei handwerkliches Können mit Kunstsinn und Fantasie zu kombinieren.
Dabei kommen kleine Quader zum Einsatz. Und das in vier verschiedenen Dimensionen: die kleinsten, die „miudinhas”, messen 4 x 5 cm, die größten, „grossa”, 12 x 13 cm. Dazwischen liegen „miúda” und „meia pedra”. Verwendet wird weißer oder grauer Kalkstein und schwarzer Basalt. Manchmal finden auch rosafarbene, lachsrote und gelbliche Steine Verwendung. Sie sind deutlich teurer und daher meist in Pflastermosaiken von besonderer Bedeutung integriert. Diese Steine kosten, im Miudinha-Format bis zu 500 Euro für einen Quadratmeter Pflaster!
Ursprünglich für Schau eines Panzernashorn in Lissabon verlegt
Die Anfänge der „Calçada Portuguesa” liegen im Jahr 1515. Damals gelangte ein Panzernashorn aus Indien nach Lissabon. Das freundschaftsanbahnende Geschenk eines Sultans, an den portugiesischen Seefahrer und Eroberer Afonso de Albuquerque, der die gewichtige Gabe an seinen König Manuel I. weiterreichte. Bevor der Herrscher seinerseits das Rhinozeros dem Papst in Rom schenken wollte, sollte das Tier am Geburtstag des Monarchen durch die Hauptstadt geführt werden. So könne das Volk es bestaunen. Vor allem aber sollten Gäste aus Adel und Klerus, das Nashorn als lebenden Beweis für die Erfolge der portugiesischen Krone in Indien sehen. Seinerzeit waren nur wenige Straßen in Lissabon befestigt, die meisten waren mit staubigem Lehm bedeckt, der sich bei Regen in Schlamm verwandelte. So veranlasste Manuel I., die Wege mit Granitbrocken zu pflastern, die dem Anlass angemessen nach künstlerischen Vorgaben als Ornamente verlegt wurden. Das Nützliche war mit dem Dekorativen verbunden. Sträflinge führten die Pflasterarbeiten aus.
Calçada Portuguesa wird zum Exportschlager
1755 zerstörte ein gewaltiges Erdbeben die Lissabonner Unterstadt. Das Pflasterkunst versank im Schutt. Beim Wiederaufbau nach der Naturkatastrophe erinnerten sich die Baumeister an die reizvolle Flächengestaltung und verlegten die „Calçada Portuguesa” weiträumig. Das Pflasterwerk entwickelte sich zudem als Exportschlager. In den ehemaligen Kolonien von Brasilien über Angola bis Macau, sind bis heute einige Straßen und Plätze mit „Calçada Portuguesa” belegt.
In Luxemburg, wo fast ein Fünftel der dort wohnenden Menschen portugiesische Wurzeln hat, gibt es zahlreiche Beispiele. Auf der Avenida de Portugal in Madrid liegt „Calçada Portuguesa”. Im Irak brachten portugiesische Architekten das gemusterte Pflaster zur Renovierung kriegsbeschädigter Palast-Anlagen ins Land. Und beim “Imagine”-Mosaik der Gedenkstätte für John Lennon im New Yorker Central Park, ließ sich die Witwe des Musikers, die Künstlerin Yoko Ono, von der „Calçada Portuguesa” inspirieren. Portugiesische Touristen am Big Apple berichten von Passanten, die vorsichtig einen Bogen um die Bodenkunst machen und keinen Fuß daraufsetzen wollen.
Kunstvolles Straßenpflaster: Betreten ausdrücklich erlaubt!
Dabei ist Betreten keineswegs verboten. Und ja, sogar unvermeidlich, wenn man sich in Portugals Städten umschaut. Da ist zunächst das landesweit älteste und größte Beispiel der „Calçada Portuguesa” am Lissabonner Rossio aus dem Jahr 1849. Auf genau 8.712 Quadratmetern bedecken die schwarzen und weißen Steine den gesamten Platz. Eusébio Furtado, Waffengouverneur des Castelo de São Jorge, ein Wahrzeichen Lissabons, hatte das Muster zuvor auf dem kleinen Paradeplatz der Burg verlegen lassen. Damit hat er für so viel Aufsehen gesorgt, dass die Stadt die Mittel für das Pflaster am Rossio bewilligte. Und nach knapp elf Monaten Arbeitszeit war es vollendet. Die Steine wurden auch hier von Strafgefangenen verlegt.
Es ist aus kleinen, regelmäßig geformten Steinen in Weiß und Schwarz in einem Wellenmuster angelegt. Dieses hat sogar einen eigenen Gattungsnamen innerhalb der Muster der „Calçada Portuguesa” begründete: „Mar largo”, das weiter Meer. Und beim Gang über den Platz meint man tatsächlich, über leichte, von einer Brise getragene Wellen zu laufen.
Immer mehr emblematische Plätze in Lissabon wurden mit „Calçada Portuguesa” gestaltet. Das Wellenmuster fand dabei häufig Verwendung. Auch außerhalb der Stadt, etwa an der Strandpromenade in Estoril und Cascais, und 1998 im Parque das Nações, dem ehemaligen EXPO-Gelände.
Motive für jede Stelle
Andere großflächige, aber auch kleinteilige Motive entstanden und erreichten nach und nach praktisch jede Stadt in Portugal. Zum steinernen Universum auf Wegen und Plätzen gehören Musikinstrumente sowie Blumen, Früchte, Getreide und Bäume, Eidechsen, Schmetterlinge, Delfine, Fische, Muscheln, Schnecken, Krebse, Seesterne und Vögel. Auch Sterne und Motive, die an Portugals Geschichte erinnern: Karavellen, Fischerboote, Anker, Schiffstaue, Rosetten, Armillarsphären und Mythisches wie Nixen und Seeungeheuer.
Die bekannteste Reminiszenz an Portugals Seefahrergeschichte befindet sich im Lissabonner Stadtteil Belém, am Ufer des Tejo: Eine Windrose mit einem Durchmesser von 50 Metern, in deren Mitte eine 14 Meter große Planisphäre einbeschrieben ist. Die ganze Pracht dieses Pflastermosaiks entfaltet sich beim Blick von oben, von der Aussichtsplattform des Entdecker-Denkmals.
Tradition und Kunst mit der Gegenwart vermischen
Neben gegenständlichen Motiven finden sich bei der „Calçada Portuguesa” Ornamente aus Jugendstil, Art Deco und Kubismus, sowie Symbole aus dem Alltag. Und als Referenz an die virtuelle Welt erscheint die „Calçada Portuguesa” an beliebten Orten als überdimensionierter QR-Code. Dieser kann mit dem Smartphone ausgelesen werden. Und so wird Touristen Zugang zu Informationen über das jeweilige Stadtviertel und seine Sehenswürdigkeiten vermittelt.
Straßenkunst auch auf den Azoren
„Calçada Portuguesa” existiert nicht nur auf dem Festland. Auf der Azoren-Insel São Miguel gibt es neben der traditionellen Verwendung seit Kurzem auch ein vertikales Pflasterwerk. Im Inselort Ribeira Grande steht auf dem neu angelegten Platz „Praça do Emigrante”, eine Weltkugel mit fast vier Metern Durchmesser. Diese ist mit portugiesischem Pflasterstein verkleidet. Gewidmet ist dieses Kunstwerk, den portugiesischen Auswanderern in aller Welt.
Wo kommt das Material her?
Das Rohmaterial für die „Calçada Portuguesa” kommt aus den Steinbrüchen der „Serra de Aire e Candeeiros” in Zentralportugal, aus dem Alentejo und aus dem Steinbruch von Marmelete in der Algarve. Dieser Baustoff ist gut zu bearbeiten, dabei widerstandsfähig und weniger kostspielig als der Granit aus der Gegend um Porto, mit dem König Manuel I. vor fünfhundert Jahren die Wege pflastern ließ. Und das Endprodukt ist nachhaltig: Die feinen Zwischenräume des steinernen Belags sind bei Regen durchlässig. Zudem können sich die Steine anpassen, wenn sich zum Beispiel eine Baumwurzel unter ihnen ausdehnt.
Know-how des Pflasterhandwerks
Früher wurde die Kunst des Pflasterns durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben. Heute fertigen speziell ausgebildete Fachleute die „Calçada Portuguesa”. Sie haben ihr Handwerk in der städtischen Berufsschule „Escola de Calceteiros e Jardineiros” erlernt, die vor genau 35 Jahren in Lissabon gegründet wurde und die einzige im Lande ist. Hier werden technisches Know-how und gestalterische Leitlinien vermittelt. Die Ausbildung dauert 18 Monate, aber „es ist nicht einfach, Leute zu finden, die bereit sind, den harten Beruf des ‘calceteiro’ zu erlernen, den ganzen Tag auf einem sehr kleinen, sehr niedrigen Hocker zu verbringen und mit Steinen zu arbeiten“, erklärt Ana Baptista von der Direktion der Schule. 1930 gab es in Lissabon 400 Pflasterer, derzeit sind es etwa zwanzig. Nur zwei Frauen haben sich bis heute für den traditionellen Männerberuf beworben.
In der vergangenen Dekade hat die Schule im Schnitt 150 Spezialisten pro Jahr ausgebildet, die im ganzen Land an der Restaurierung alter, erhaltenswerter Flächen arbeiten oder neue Pflaster anlegen. Letzteres geschieht immer öfter auch im Inneren von Gebäuden, denn der traditionelle Bodenbelag wurde zum Material der Wahl für das Interieur moderner Wohnhäuser, öffentlicher Gebäude oder Hotels.
Die Arbeit am Zielort
Das Poc-Poc-Poc des Hammers auf dem Stein ist die Begleitmusik der „calceteiros”. Neben ihnen liegt ihr Werkzeug: Ein kleiner Hammer, dessen Metallkopf auf der einen Seite geschliffen ist, um den Stein präzise zu zerkleinern, und auf der anderen Seite flach, um den Stein im Verbund mit seinen Nachbarn festzuklopfen. Sind alle Steine an ihrem Platz, werden sie mit einem hölzernen Schlägel, der wie ein kleines Butterfass aussieht und über zwanzig Kilo wiegt, bearbeitet, bis sie eine ebene Fläche bilden. Schließlich wird pulverisierter Kalkstein darübergestreut, mit einem Besen in die Ritzen gefegt und gewässert. So bildet sich ein poröser Mörtel und festigt die millimetergenau berechnete grafische Komposition. Bei einfachen Pflasterungen schafft ein Handwerker rund einhundert Quadratmeter pro Tag. Ist das Muster aufwendig, nur ein Zehntel davon.
Anhand von Schablonen reproduzieren die „calceteiros” zahlreiche Muster. Formvorlagen, die bei öffentlichen Projekten verwendet werden, sind aus Holz oder Metall und werden immer wieder verwendet. Allein die Stadt Lissabon hat mehr als 7.000 in einem Lager archiviert.
Andere Pflasterbilder entstehen nach Entwürfen von Künstlern*innen, darunter die modernistischen Maler Abel Manta und Maria Keil, aber auch aktuelle Street Art-Künstler: Alexandre Farto, auch Vhils genannt. Er schuf 2015 im Lissabonner Stadtteil Alfama, Pflaster-Kunst zum Gedenken an die Fado-Sängerin Amália Rodrigues. Das Bild beginnt auf dem Boden und verläuft dann entlang einer Mauer aufwärts. „Wenn es regnet, scheint es, als würde Amália weinen, was die Emotion des Fado symbolisiert”, sagt Vhils.
Das Ergebnis von Zeit, Geschichte und Visionen
Im Laufe der Jahre verblassen die urbanen Tattoos, durch den täglich tausendfachen Kontakt mit Schuhsohlen und Absätzen, durch unachtsam parkende Autos und die Witterung. Seit 2018 arbeitet eine Initiative daran, dass die „Calçada Portuguesa” von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wird.
Dieses Pflaster ist das Ergebnis von Zeit, Geschichte und Visionen. „Wenn ich in der Rua Lopes Mendonça, fast in Sichtweite des Flughafens, einen Schmetterling aus bunten Steinen erblicke, weiß ich, dass es kilometerweit entfernt an der Brotfabrik am ‘Campo de Ourique’ einen weiteren gibt (…). Es handelt sich jedoch nicht um zwei sich wiederholende Bilder, nein, es ist nur ein Schmetterling, der die Distanz zwischen dem Alten und dem Neuen überwunden hat…“, notierte der Schriftsteller José Cardoso Pires in seinem „Lissabonner Logbuch”.
Pflasterkunst auch auf Madeira
Übrigens gibt es auch auf Madeira viele Beispiele des portugiesischen Pflasters, doch auf der Insel ist die „calçada madeirense” zu Hause, so der Eigenname der seit dem 16. Jahrhundert bekannten Pflasterung, die ihre Muster von der Madeira-Stickerei übernommen hat. Abgesehen von der gleichen Hingabe zur Vielfalt unterscheidet sich die „calçada madeirense” deutlich von den Techniken des Festlandes. Die Pflasterkünstler*innen verwenden hier ausschließlich Kieselsteine und Gesteinsbrocken vulkanischen Ursprungs, die an den Stränden angespült werden. Entsprechend dominieren dunkle Grundtöne. Der Stadtpark São Francisco de Assis gilt als der beste Ort, um die „calçada madeirense”v zu entdecken – und wer aufmerksam hinschaut, erkennt kleine fossile Abdrücke auf den Steinchen.
Unsere Hoteltipps
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My Story Hotel Rossio
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