Abenteuer Autorenleben im Lockdown – »Bei diesem Buch lief alles anders« gesteht Catrin George Ponciano, und erzählt von ihrer Arbeit während der Pandemie an ihrem neuen Reisebuch über den Alentejo.
Die Neuerscheinung „111 Orte im Alentejo die man gesehen haben muss“ ist ein Pandemie Buch. Das Manuskript habe ich während des 2. Lockdowns in Portugal geschrieben. Zwischen Weihnachten 2020 und dem 1. Mai 2021.
120 Tage Schreibtisch. 120 Tage lang darauf warten, loszufahren. So wie immer, wenn es um einen Text über einen Ort oder eine Stätte im Alentejo geht, über den ich schreiben soll. Für einen Bericht, oder für ein Interview mit Menschen, verantwortlich für ein Museum, eine Werkstatt, oder die im Chor Weltkulturerbe singen.
Ich gestehe, der Alentejo ist mein zweites zuhause, mein Rückzugsort, selbst bei anstrengenden Rechercheausflügen, selbst nach vielen Stunden Arbeit, sinkt die stille Weite der Natur in mich ein – und ich spüre Frieden in mir.
Nun sollte ich darüberschreiben – ohne dort zu sein. Seit 15 Jahren schreibe ich über Portugal. Journalistische Artikel, Blogs, Reisebücher, Kriminalroman, Essay. Ich schreibe über was ich kenne. Wo ich für ein Gespräch am Straßenrand, auf einem Bauernhof, in einem Tante-Emma-Lädchen innegehalten habe. Und mein Ohr den Menschen leihe, um ihre Sicht auf die Dinge des Lebens und des Universums zu erfahren. Das ist das Elixier meines Schreibens.
Dann der Super Gau. Frau Unterwegs wurde ins Büro verbannt. »Mein Alentejo« blieb monatelang unerreichbar.
Ein Buch der Erinnerung
Nie zuvor habe ich mich mehr nach meiner Lieblingsregion gesehnt. Nie zuvor habe ich mich dem Alentejo gedanklich näher gefühlt. Denn mein Erinnerungsalbum brachte mich überall hin, wohin ich die Lesenden und Reisenden gedanklich hin einladen möchte. Die jahrelang gesammelten Impressionen leiteten mich. Mein Reiserückblick funktioniert wie eine innere Landkarte. Auf Anhieb abrufbar. Wo steht welche Burg, wie komme ich dorthin, was gibt es Leckeres in der Nähe zu essen. Kann ich beantworten. Aus dem Effeff. Also habe ich mir während des Schreibens ein eigenes Bild gemalt habe. In kalkweiß, gerahmt von blauen und roten Tür- und Fensterrahmen, so wie im mittleren Alentejo, und von safrangelben im oberen. Von der Schieferburg in Monsaraz und der Weltkulturerbe Festung in Elvas. Von den endlos pudrig hellen Sandstränden an der Blauen Küste, vom grünen Reisfeldteppich bei Alcácer do Sal, von den Kastanienwäldern in der Serra de São Mamede, vom purpurnen Wasserspiegel am Alqueva.
Doch… erinnerte ich mich richtig? An den richtigen Duft? Das faszinierende rosarote Licht im Morgengrauen? An das Summen des Windes im Chor mit den Zikaden? Erinnerte ich mich genug, um den Stätten in meinem Buch Gestalt zu verleihen und -, um ihnen Poesie einzuhauchen? Die einzigartige zärtliche Poesie der Provinz ohne Schatten – wie Einheimische ihre Heimat nennen – die sich zwischen die spanisch/portugiesische Grenze bis an die wild zerklüftete Küste des einstigen Lusitaniens an den Atlantik schmiegt.
Gelänge es mir, das emblematische Stillleben der Natur mit seinen abertausenden Korkeichen, Olivenbäumen, und Getreidefeldern, die bis in den Himmel wachsen, allein aus meiner Erinnerung in ein Buch zu bringen? Wie sollte ich bloß aus all den vielen hundert sehenswerten Orten, die ich kenne, die spannendsten, schönsten, skurrilsten 111 Ziele für mein Buch aussuchen?
Recherchearbeit per Telefon
Wo sonst meine Augen unterwegs meine besten Begleiter sind, wurde es für dieses Buch mein Ohr. Ich telefonierte. Mit Glória in Castelo de Vide, mit Nelson in Montemor-o-Novo, mit Rita in Santiago Escoural, mit Maria in Évora, mit Luis in Elvas, mit Guilherme in Alcáçovas. Und noch vielen anderen. Sie alle waren die Stellvertreter meiner Augen. Sie erzählten mir, was ich fern des Alentejo nicht sehen, nicht wissen, nicht spüren konnte.
Stunden verbrachte ich am Telefon, hörte zu, fragte nach, schrieb eifrig Notizen, mit der Hand. Und gewann durch die Worte derjenigen, die ihren Heimatort besser als ich kennen, und die mir davon erzählt haben, was ihnen wichtig ist, neue Perspektiven, Telefonkomplizen nenne ich sie, denen es genauso wie mir wichtig ist, dass Reisende unseren Alentejo mit dem Herzen sehen werden.
Damit Sie, liebe Besucher und Lesende, Spaß haben werden, unterwegs und neugierig, was es wohl hinter der nächsten Hausecke alles noch zu erkunden gibt. Damit es Ihnen schmeckt im Alentejo – kurzum, damit Sie sich wohlfühlen.
Endlich unterwegs
Ab dem 1. Mai wurde der Lockdown aufgehoben. Es konnte losgehen. Endlich! Zum Fotoshooting.
Die Vorfreude auf jedes Ziel wuchs, je näher wir ihm kamen. Das vage Bangen, ob sich jede Stätte in echt tatsächlich so anfühlen möge, wie von mir beschrieben, ebenso.
Jede Ankunft dann, ein atemloser Moment. 111-mal atemlos – und erleichtert. Von Tag Eins bis Tag Dreizehn. 5000 Kilometer weit bis das letzte Bild geknipst war und der letzte Ort besucht. Bis wir mit Glória, Nelson, Rita, Maria, Guilherme, Luis und all den anderen Telefonkomplizen eine »bica« getrunken haben, bis das gemeinsam froh darüber sein, dass das zuhause bleiben ein Ende hat, uns für immer eint. Kein Blind Date könnte aufregender sein. Ausatmen. Jede Stätte steht an ihrem Platz. 111-mal Glückstaumel. Endlich wieder unterwegs. Im Alentejo.
111 Orte im Alentejo, die man gesehen haben muss
Catrin George Ponciano
Der Alentejo ist Portugals letzte geheime Region und schmiegt sich zwischen die wild raue Atlantikküste und die spanische Extremadura. Das Land ohne Schatten, nennen die Einheimischen ihre Heimat südlich des Tejo, ist touristisch ganz und gar unterschätzt. Gut so! So gehören die liebliche Landschaft mit ihren Korkeichen, all die mittelalterlichen Ritterbastionen in nostalgischen Kleinstädten, abgelegene Fischerenklaven und von der Zeit vergessene Burgdörfer den behaglich Reisenden auf Fährtensuche zu flüsternden Megalithen, in königliche Schlafgemächer oder dorthin, wo die Erde aufreißt und Neunaugen laichen – unvergessliche Momente mit Brauchtum und Leute inbegriffen.
Mit zahlreichen Fotografien
240 Seiten
ISBN
erschienen am 26.08.2021